Zum Inhalt springen

mein herz ist ein dealer

theater konstellationen und Gessnerallee Zürich | Uraufführung

«Die wunderbare Kontrabassistin Anna Trauffer und der nicht minder virtuose Gitarrist Andi Peter bereichern das Stück mit einem Neben- und Nachspiel, auf das man gerne Aug und Ohren richtet.» (Brigitte Schmid im St.Galler Tagblatt vom 26.5.2014)

«Ein teilweise verwirrender, doch intelligent-witziger Abend. Empfehlenswert – nicht nur für Selbstverliebte.» (Stefan Späti im Saiten – Ostschweizer Kulturmagazin vom 26.5.2014)

«Nicht mehr ein Solostück, sondern eine Liebesgeschichte steht auf dem Programm. Der Berggipfel wird zur Bühne, Reflexionen über das Ich vermischen sich mit solchen über die Konkurrenz unter Darstellern. Der Mann fühlt sich von der Frau bedrängt: «Hey, das ist mein Text, den du da sprichst!» Nach hartnäckiger gegenseitiger Aversion, die sich in gelungen choreografierten Prügeleien im Schneesturm aus Papierflocken zeigt, finden die zwei zusammen. Die Egomanie ist vergessen: Im Duett – die Band macht es vor – lebt es sich eben doch besser. Experiment geglückt.» (Katja Baigger in der NZZ vom 24.2.2014)

[masterslider alias=“dealer“] © Fotos drama-berlin.de / Iko Freese

Aufzug N°2 aus «MENSCH! – EIN SHOWBUSINESS IN MEHREREN AUFZÜGEN»

«Mensch!» nennen Beatrice Fleischlin (Autorin / Performerin) und Jonas Knecht (Regisseur) ihr gemeinsames Grübeln über das Existentielle in der heutigen Wettbewerbsgesellschaft.
«mein herz ist ein dealer» ist der zweite Aufzug, der aus dieser Zusammenarbeit hervorgeht. Fleischlin und Knecht schicken darin zwei Figuren auf die Bühne, die ihrer Selbstbesessenheit auf die Schliche kommen. Wie die Kamera in einer Tierdoku jeder Regung des lauernden Tigers folgt, zoomen sie auf die Bewegungen ihrer Protagonisten: Verachtung, Ignoranz, aufblitzende Zärtlichkeit und Aggression, Verzweiflung und Hingabe.
In «mein herz ist ein dealer» eruieren sie den Unterschied zwischen Revierverteidigung und einer Liebeserklärung. Aber so ganz ohne Schlamassel wird das nicht über die Bühne gehen.

Beatrice Fleischlins Text- und Bühnenarbeiten verfolgen konsequent die Suche nach einer zeitgenössischen Theatersprache. Als Performerin bewegt sie sich am Übergang von Realität und Fiktion und lotet, auf irritierend intime Weise, Fragen von Identität und Existenz aus. Ihre Texte könnten einem philosophischen Zirkus entflohen sein.
Die Arbeiten des Regisseurs Jonas Knecht sind geprägt von einer grossen Experimentierlust mit den theatralen Mitteln. Die im besten Sinn des Wortes „eigenartige“ Kombination von Sprechtheater, Audio und Musik steht dabei im Mittelpunkt. So entstehen freie Produktionen im Grenzbereich zwischen Installation und Theater, szenische Konzerte und Live-Hörspiele aber auch musikalische Inszenierungen mit Puppen und Menschen.


Besetzung

Team
SPIEL Beatrice Fleischlin Axel Röhrle
LIVE-MUSIK Anna Trauffer Andi Peter

REGIE Jonas Knecht
TEXT Beatrice Fleischlin
BÜHNE & KOSTÜME Markus Karner
DRAMATURGIE Peter Jakob Kelting
CHOREOGRAPHIE Cornelia Lüthi
REGIEASSISTENZ Patricia Flores
TECHNIK Roger Stieger / Patrik Rimann / Adrian Schiess
PRODUKTIONSLEITUNG Gabi Bernetta
WERBUNG / GRAFIK Roman Imhof / varese-corridor.ch

CO-PRODUKTION mit der Gessnerallee Zürich, den Sophiensaelen Berlin, dem Theater Chur, dem Theater Tuchlaube Aarau und „PRAIRIE, dem Koproduktionsmodell des Migros-Kulturprozent mit innovativen Schweizer Theatergruppen“.

PREMIERE UND SPIELORTE: Premiere / UA war am 20. Februar 2014 an der Gessnerallee in Zürich.
Danach war die Produktion zu Gast an den folgenden Theatern: Gessnerallee Zürich, Sophiensaele Berlin, Theater Tuchlaube Aarau, Lokremise St.Gallen, Theater Basel, Theater Chur.

UNTERSTÜTZT DURCH Migros Kulturprozent, Stadt Zürich Kultur, Kulturförderung Kanton St.Gallen, Pro Helvetia – Schweizer Kulturstiftung, Fachausschuss Literatur Basel-Stadt / Basel-Landschaft, Fachstelle Kultur Kanton Zürich, Stadt St.Gallen Fachstelle Kultur, INAPA Schweiz, Stanley Thomas Johnson Stiftung

 


Video

Mittschnitt der Vorstellung vom 26.2.2014 Gessnerallee Zürich
© Jost Nyffeler, Commedia, Bern


Presse

Auf dem Gipfel der Eitelkeit / Kritik von Stefan Späti / Saiten – Ostschweizer Kulturmagazin  vom 26.5.2014 / Online

Der Mensch will hoch hinaus / Kritik von Brigitte Schmid / St.Galler Tagblatt vom 26.5.2014 / Kultur

Der Dealer namens Herz / Vorschau von Brigitte Schmid / St.Galler Tagblatt vom 22.5.2014 / Kultur

Hey, das ist mein Text! / Kritik von Katja Baigger / NZZ vom 24.2.2014 / Zürcher Kultur


Hintergrund

Von Peter-Jakob Kelting

„Die Jahrzehnte vor der Finanzkrise 2008 waren durch den unbedingten Glauben an die Märkte und die positiven Folgen der Deregulierung gekennzeichnet“, stellt der amerikanische Philosoph Michael J. Sandel in seinem neuen Werk „Was man für Geld nicht kaufen kann“ (2012) fest.
Die wirtschaftliche Deregulierung vollzog sich parallel zur gesellschaftliche Emanzipation. Sie betraf eben nicht allein die Entbindung der globalisierten Wirtschaft von bis in die 80er Jahre gültigen „Leitplanken“, sondern frass sich auch in die psychosozialen Strukturen der westlichen Gesellschaften, in ihre Individuations- und Sozialisierungsprozesse ein. Was in den 60er Jahren – befeuert durch die Hippi-Bewegung in den USA und die „68er“ in Westeuropa – als Befreiung aus tradierten Lebensmodellen begann, mutierte unter den Vorzeichen des entfesselten Kapitalismus zum Mainstream. Die Form der Selbstkonstitution, die im 19. und 20. Jahrhundert dem (avantgardistischen) Künstler vorbehalten war, wurde zum „role model“ der Dienstleistungs- und Konsumgesellschaft: Flexibilität, Mobilität, die Fähigkeit, sich selbst immer wieder neu zu erfinden, wenn es die Umstände erfordern, kurz, die Entgrenzung des Selbst wanderten als Leitfiguren in die Biografien Hunderttausender Betriebswirtschaftler, Werber, Hedge-Fonds-Manager, Journalisten und Betreibern von Ich-AG’s ein. Das Dasein im Prekariat ist zum Normalzustand geworden und meint viel mehr als ein Leben am Rande des Existenzminimums, wenn man es mit dem englischen Soziologen Zygmunt Bauman als Metapher eines inneren Zustandes begreift. Der Typus des globalen Nomaden empfindet längerfristige Bindungen – ob beruflicher oder privater Natur – als Belastung und ist dauerhaft und in allen Lebenszusammenhängen dauernd „auf dem Sprung“.
Schon kurz nach dem Jahrtausendwechsel mehrten sich die Zeichen, dass die Erschütterung tradierter Lebens-, Beziehungs- und Arbeitsmodellen eine dunkle Seite hat. Wie sonst kann es sein, dass in der besten, weil alternativlosen, aller Welten, einer Welt, die glaubt, Transzendenz, geschweige denn Utopie, nicht mehr nötig und überwunden zu haben, Depression zur globalen Volkskrankheit mit den höchsten Steigerungsraten quer durch alle sozialen Schichten werden konnte?
In seinem 2004 auf deutsch erschienenen Werk „Das erschöpfte Selbst“ schreibt der französische Soziologe Alain Ehrenberg: „Die Depression erinnert sehr konkret daran, dass sich selbst zu besitzen nicht gleichbedeutend ist mit grenzenlosen Möglichkeiten. Weil sie uns anhält erinnert uns die Depression daran, dass man das Menschliche nicht hinter sich lässt, dass dieses mit einem System von Bedeutungen verkettet ist, das zugleich über es hinausgeht und es konstituiert. (…) Im Zeitalter der unbegrenzten Möglichkeiten symbolisiert die Depression das Unbeherrschbare.“

Mit der Erschütterung der Weltwirtschaft durch die Finanzkrise wurde „Das Unbehagen in der modernen Gesellschaft“ manifest. Die Krise brachte eben ans Licht, wie sehr sich die Logik der Märkte mittlerweile nicht nur die Beziehungen zwischen Staaten und Gesellschaften, sondern eben auch die Beziehungen zwischen Menschen über die berufliche Ebene hinaus definiert. „Das Übergreifen von Märkten und marktorientiertem Denken auf Aspekte des Lebens, die bislang von Normen ausser des Marktes gesteuert wurden, ist eine der bedeutsamsten Entwicklung unserer Zeit.“ (Michael J. Sandel)
Einerseits sind wir als Konsumenten potentiell – also je nach Dicke des Geldbeutels – „frei“ wie nie zuvor. Andererseits aber stehen wir den ökonomischen und technologischen „Sachzwängen“, die sich jeder individuellen oder politischen Einflussnahme zu entziehen scheinen, ohnmächtig gegenüber. Wir realisieren, dass wir in wesentlichen Bereichen unseres Lebens zu Anhängseln von Prozessen wurden, die vermeintlich nicht mehr steuerbar sind, und behaupten zugleich trotzig unsere individuelle Souveränität. Die Paradoxie der von Maggie Thatcher in den 80er Jahren ausgerufenen TINA-Maxime („There Is No Alternative“) zieht eine verstörende Verunsicherung und das Gefühl fundamentaler Hilflosigkeit nach sich – das Gegenteil von Souveränität. Die Verluste, die die Ökonomisierung aller Lebenswelten mit sich bringt, werden schemenhaft spürbar.
Eine der Fertigkeiten, die im Strudel dieses Prozesses verloren gehen, ist die Fähigkeit zur Kooperation zwischen Individuen und Gruppen. In seinem neuen Buch „Zusammenarbeit. Was unsere Gesellschaft zusammenhält“ beschreibt Richard Sennett, wie in der modernen Gesellschaft „ein eigentümlicher Charaktertyp“ entsteht, „ein Mensch, der mit anspruchsvollen, komplexen Formen sozialen Engagements nicht mehr zurecht kommt und sich deshalb zurückzieht.“ Als Hauptursache für die Entstehung des „unkooperativen Ichs“ diagnostiziert Sennett den Verlust der Fähigkeit zur Empathie. Letztlich aber bilde Empathie die Grundlage für jede produktive Form gesellschaftlicher Zusammenarbeit.
Die Herausforderung der kommenden Jahre wird sein, neue, auf Empathie beruhende Strategien zu erproben und zu entwickeln, das stählerne Ich-Gehäuse des spätmodernen Individuums zu sprengen, ohne in vormoderne Formen repressiver Gemeinschaftsbildung zurückzufallen.

 


Was ist los?

Wenn wir das heutige postmoderne Individuum betrachten, könnte man sagen: es ist Vermarktungs-strategie. Der heutige Mensch ist nicht mehr Arbeitnehmer oder Arbeitgeber, der heutige Mensch ist Produkt und Verkäufer in Personalunion. Ob im Arbeitsalltag, in der Freizeit oder auf dem Liebesmarkt; wer wahrgenommen werden will, muss sich verkaufen.
Wir bauen unsere Existenz auf die Zustimmung und Bewunderung der Anderen. Es gilt, sich über den Durchschnitt zu erheben, besser zu sein als die Konkurrenz. Es ist zur Norm geworden, seine eigene Identität so zu formen, damit sie als Aushängeschild für die eigene Professionalität und Willigkeit funktioniert. Wir sind, weil wir am Markt teilnehmen können. Aber der Markt ist nicht der nüchterne Bürotrakt, von dem man sich abends verabschieden kann. Der Markt ist allgegenwärtig. Er bestimmt nicht nur unseren Arbeitsalltag, er bestimmt auch unsere Freundschaften und schleicht sich ein in unsere Liebesbeziehungen und Familien. Der Markt ist das Prinzip.

Und jetzt?

Wir fragen: Was haben wir uns denn da zur Norm gemacht? Und wir denken: Da stimmt doch etwas nicht. Wir glauben, dass die absolute Losgelöstheit, das Verneinen von Verbindlichkeiten ausgereizt ist. Ohne die Andern, ohne ein Sozialgefüge kann der Mensch doch gar nicht existieren. Wir glauben, dass das postmoderne Subjekt nur dann eine Zukunft hat, wenn es sich über seine Egozentrik hinaus, wieder in einen zwischenmenschlichen Bezug rückzubinden vermag. In unserer längerfristig angelegten Auseinandersetzung „mensch!“ versuchen wir das heutige Individuum auszuloten, und dann in eine wünschenswerte Zukunft weiterzudenken. Wir möchten vorschlagen, den Einzelnen nicht als vom Ganzen losgelöst, sondern als ein mit der Gruppe verbundenes und in Abhängigkeit zu ihr stehendes Wesen, zu beschreiben. Wir möchten vorschlagen, dass der Einzelne bereit ist und ein Interesse hat, sich gestaltend in diese Wechselwirkung zwischen sich selbst und der Gemeinschaft einzubringen. Und ja, es gibt einen Widerspruch zwischen den persönlichen Interessen und den Interessen der Umgebung. Beziehungen zu führen, ist wohl die grösste Herausforderung für den, seiner eigenen Bedürfnisse so hyperbewussten Jetztmenschen.

Die Aufzüge

Unser Nachdenken über den Menschen wird die verschiedensten Outputs generieren. Wir nennen sie Aufzüge. Diese werden dann in Form von Theaterstücken, Lectures, musikalischen Ereignissen, Tanzperformances etc. dem Publikum präsentiert.


Fleischlin & Knecht

Beatrice Fleischlin (Performerin und Autorin) und Jonas Knecht (Regisseur) sind die Initiatoren dieser Auseinandersetzung mit dem Titel »mensch! – Ein Showbusiness in mehreren Aufzügen«.
Beide haben in den vergangenen Jahren in unterschiedlichsten Funktionen und Konstellationen Bühnenprojekte erarbeitet. Mit ihrem »mensch!« Vorhaben wollen sie nun gemeinsam den heutigen Menschen auf seine existentiellen Fragen hin ausloten. Denn, so behaupten sie, auch hinter dem souveränsten Small Talk verbirgt sich ein um Sinn ringendes und nach Gemeint-Sein strebendes Wesen. So nähern sich Fleischlin und Knecht über einen längeren Zeitraum mit den Möglichkeiten der Bühne diesem Existentiellen in der Wettbewerbsgesellschaft und entwickeln daraus »mensch!« Aufzüge. (Theaterstücke, Lectures, musikalische Ereignisse, Tanzperformances etc.) Diese sollen Anstoss geben, über ein wünschenswertes, zukünftiges Menschsein und Zusammenleben nachzudenken. Denn um das Zusammenleben geht es immer: als Liebende, als Gruppe, als Menschheit.
Mit ihrem Antrieb, Bühnenfiguren zu kreieren, die aus der Fragmentierung und der Unverbindlichkeit hin zu Menschen mit Gefühlsreichtum und Sehnsüchten werden, würden sie sich als »Neue Romantiker« bezeichnen.